Galina Litman

Die Schwebe zwischen Traum und Realität

Innenraum Collage
Kohlezeichnung 1
Kohlezeichnung 2

Der Raum ist klein, sehr klein – sogar in meinen Augen. Ich liege im Bett, meine Füsse sind kalt von den Steinplatten, über die ich gehuscht bin. Es ist Morgen früh, sechs, vielleicht auch sieben Uhr. Neben mir im Bett liegt meine Grossmutter. Sie schläft nicht mehr – wie könnte sie auch. Es riecht nach Holz und nach Lavendel. Grosi hat immer nach Lavendel gerochen, ich weiss bis heute nicht, wie sie das geschafft hat. Die Fensterläden ihres Schlafzimmers sind noch zu – ich habe sie noch nie offen gesehen, das Licht des neuen Tages bricht bereits durch sie herein. Die Wände sind – wie so oft bei den alten Berner Bauernhäusern – holzgetäfelt. Der Boden ächzt und seufzt als ich darüber gehe. Aber nur ein Mal, ganz leicht, denn mittlerweile weiss ich, wo er lieber nicht berührt werden will. Die Tür zum Zimmer ist ebenfalls aus Holz und wird von einem wunderbar verzierten Rahmen gehalten. Gegenüber der Tür befindet sich das einzige Fenster im Raum - darunter standardmässig der alte Heizkörper. Links neben der Tür befindet sich Grosis Bett, daneben die Nachtlampe. Ich brauche sie nicht – das Zimmer ist zu klein und ich kenne es zu gut. Wir liegen im Bett und hören das Rascheln der Mäuse in den Zwischenwänden. Sie fressen die Isolation, sagt meine Grossmutter. Was auch immer Isolation ist… Ich zeichne mit den Fingern die Wege der Mäuse nach und stelle mir vor, wie sie Isolation fressen. Wie schmeckt das bloss? Auf meine Frage nach der Isolation, antwortet meine Grossmutter: das macht das Haus warm. Also wie ein Mantel, stelle ich fest und begreife noch weniger, weshalb  die Mäuschen das fressen. Manchmal erzählt meine Grossmutter mir Geschichten von Früher. Ich höre ihr zu, beobachte den Staub, der im Lichtschein der Fensterläden tanzt. Vom Tanzen müde geworden, setzt sich der Staub auf dem Glas des Fensters zur Ruhe. Mein liebster Gegenstand im Zimmer ist die alte Truhe. Ein Geschenk an eine längst vergessene Person (zur Hochzeit an eine Frau, wie ich es heute darauf lesen kann), handgeschnitzt und verziert. Viele Blumenornamente, fast schon verblasste Farben und Buchstaben, die ich nicht lesen kann. Auch sie: tausend Mal von kleinen Kinderhänden nachgefahren und berührt. Ich liebe sie, diese Truhe. Noch heute da meine Grossmutter verstorben ist, steht sie in dem 10m2 kleinen Raum in der Mitte von Nirgendwo in einem Ferienhaus in Bern. Noch heute habe ich den Raum nie im Tageslicht gesehen.

Papiermodell 1
Papiermodell 2 / Prozessbild
Gussmodell 1
Gussmodell 2 / Atmosphärisches Bild