Valerie Keusch

Herzklopfen

Innenraum Collage
Kohlezeichnung 1
Kohlezeichnung 2

Als Kind war ich viel krank. Mal hatte ich die wilden Blattern, dann Mumps, eine Grippe, starke Halsschmerzen, Bauchschmerzen, allergische Reaktion was immer es auch war, es war meistens so schlimm, dass ich zum Arzt musste. Und ich war tollpatschig dazu: im Alter von einem Lebensjahr fiel ich mit dem Arm ins Feuer, mit sechs Jahren hängte ich mit dem Oberschenkel bei einer Schraube ein, mit acht Jahren ein Loch im Kopf,  und, und, und. Was immer es dann auch war, die Unfälle waren nie so schlimm, dass ich ins Spital musste. Nein, immer nur zum Arzt. Zu meinem Hausarzt ging nicht gerne, nicht wegen ihm, er ist ein guter Arzt, sondern wegen dem Raum, der eine merkwürdige Ausstrahlung auf mich hatte. Ich kann mich noch gut an diesen Raum erinnern. 

Es war fast ein quadratischer Raum mehr oder weniger, weiss gestrichene Wände natürlich, so wie es sein muss in einer Arztpraxis. Der Parkettboden verlieh dem etwas statischen Raum eine Sanftheit. Der Raum roch streng und stark nach irgendwelchen komischen chemikalischen Substanzen, als würde man ein ganzes Päcklein Nasobol auf einmal inhalieren. Eigentlich war der Geruch gar nicht so schlecht, er bewirkte, dass man sich automatisch sauber fühlte, natürlich neben den unzähligen Desinfektionsständern, die überall im Raum verteilt waren und dieses Gefühl noch verstärkten.

Auf den Regalen an der Wand platzierte mein Arzt zum einen verschiedene medizinische Objekte vom menschlichen Körper, Innen - und Aussenansichten. Zum anderen schmückte er die Regale mit sonderbaren, zum Teil perversen Skulpturen aus Holz und Plastik. Die ineinander geschlungenen Figuren stellten für mich eine absurde Sexstellung oder sonst irgendeine krasse Verrenkung zweier Menschen dar. Während dem mich der Arzt jeweils untersuchte, konnte ich meinen Blick kaum von diesen sonderbaren Gegenständen auf den Regalen ablenken.

 

Dazu muss ich noch erwähnen, dass mein Arzt durchaus auch ein eigenartiger Mensch ist, klein, also damit mein ich kleiner als ich, und ich bin nicht gross. So jetzt, im reifen Alter kann ich sagen, dass diese Skulpturen zu ihm passen.

Und ich finde sie jetzt auch gar nicht mehr so abschreckend, wie sie im Kindesalter dazumals waren. Wenn ich so darüber nachdenke, geben sie dem Raum eine Verspieltheit und lockern die strenge Atmosphäre ein wenig. Aber durchaus prägen sie den Raum immernoch, und bestimmt jeder bleibt mit dem Blick bei ihnen stehen- sei dies für ein paar Sekunden oder während der ganzen Arztuntersuchung.

Sein Sessel war aus braunem Leder, ziemlich massiv und dominant. Er sah immer so bequem aus. währendem ich mich mit einem normalen, schwarzen Delta Freischwinger Besucherstuhl zufrieden geben musste. 

Weiter gab es im Raum eine Fensterfront von der man eines der hässlichsten Blockhäuser von Wohlen sehen konnte. So ein hässlich konstruiertes Gebäude habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Der Raum wirkte dadurch einengend und bedrückend. Und vorallem wäre es schön gewesen, manchmal mit dem Blick an einen schönen Ort zu fliehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Raum für mich kalt, z.T schockierend und merkwürdig auf mich wirkte. Die Lockerheit und der Humor von  meinem Arzt beschönigten oder lockerten die bedrückende Stimmung jedoch wieder ein wenig auf und ich habe den Arzttermin immer heil überstanden.

Papiermodell 1
Papiermodell 2 / Prozessbild
Gussmodell 1
Gussmodell 2 / Atmosphärisches Bild