Mein Körper in höchste Spannung versetzt, beinahe bis zur Decke ragend des tiefen Treppenhauses des grossen Appenzellerhauses und dem Wunsch folgend der Schwerkraft zu entfliehend, geht’s leise alleine auf Zehenspitzen die knarrenden Treppenstufen hoch. Im obersten Stockwerk öffne ich mit zittrigen Händen die viel zu kleine, einer Schranktür ähnlichen, vergessene und verlorene Tür am Ende des dunklen schmalen Ganges. Die stete Ungewissheit, was mich hinter dieser Tür erwarten möge schüchtert mich ein.
Mit zugekniffenen Augen spüre ich, wie langsam kalte Luft meine Gestalt umgibt. Es ist nicht der offizielle, grosse, luftige Estrich unter dem Dachgiebel mit den vielen Stützen, den hoch aufgestapelten Kisten, wertvollen und grossen Gegenständen – es ist ein Reststück des Dachstockes, fast leer geräumt bis auf ein Spielzeug und ein paar eingepackte, mit der Vorderseite zur Wand gestapelten Bilder. Die Dachschräge rechterhand verläuft vom Boden bis zur Decke dieses flurartigen langen nie zu enden wollenden Tunnels und scheint mich beinahe zu erdrücken. Diese Diagonale zwingt meinen Körper sich dem Raum anzupassen und verkrampft, halb geduckt und zur Seite geneigt betrete ich vorsichtig meine Schlucht – einen unheimlichen Schlund.
Das grosse Schaukelpferd erwartet mich ruhig im Wiederschein der einzigen Lichtquelle vom Dach, einem gläsernen Dachziegel. Das davon ausgehende sanfte indirekte Licht gibt Mut an diesem ungemütlichen Ort zu weilen. Es schneit, dumpfe Stille und feuchte Kälte umhüllt mich. Ich schmiege mich an den Hals des Schaukelpferdes. Ein verstörendes und doch an Geborgenheit erinnerndes Gefühl kommt auf und das alte Holz beginnt eine eigentümliche Wärme auszuströmen. Ich komme an, die Augen nun gewöhnt an das schwache Licht, weitet sich der Tunnel und aus der sich mir erschlossenen Tiefe des Estrichs richten sich meine Augen nun auf den Mikrokosmos, den vielen Furchen, Strukturen des uralten dunkeln Holzes des Dachstuhls, die zittrigen Spinnweben, den Insekten, welche diesen für mich bis anhin statischen Raum beleben und besiedeln. Eine Topografie entspringt aus dem Relief des Holzes, nie enden zu wollende Flüsse, Berge und Täler im Wechsel und tiefe dunkle Wälder. Die sanften Farben dieser entrückten Welt erwachen.
Ich gebe dem Pferd die Sporen und richte mich im Sattel auf, beginne zu schaukeln und tauche ein in diese Welt. Der schwere, unfreundliche und starre Estrich kommt in Bewegung. Die alten Balken werden durchlässig, beginnen zu schwingen, die Dachschräge wird zum Flügel. Unendlich weit erscheint mir meine Welt – ich schliesse die Augen, meine Hände lassen die Zügel los und strecken sich in die Höhe, raus aus der Enge in die Freiheit.