Hoch oben in den Bergen, im ersten Stock eines nach italienischem Vorbild errichteten Flachdachhauses, befand sich für mich einst ein Ort voller Geborgenheit und fantasievoller Geschichten – es war das Arbeitszimmer meines Grossvaters.
Im Grunde handelte es sich um ein helles, quadratisches Eckzimmer mit Klötzchenparkett, weissen derart grob verputzten Wänden, dass ich deren Beschaffenheit noch heute in den Fingerspitzen zu spüren glaube, und zwei mit schwarzen Vogelsilhouetten beklebten Fenstern. Das eine ermöglichte den Blick in den üppig bewachsenen Garten meiner Grossmutter und das andere, rechts davon, richtete sich talwärts auf eine imposante Berglandschaft. Doch auch im Raum herrscht eine naturbezogene Atmosphäre.
Mein Grossvater brütete meist an seinem Holzschreibtisch mit grünem, aufgezogenem Linoleum, vertieft über archäologischen Berichten der dortigen prähistorischen Terrassenlandschaft. Dabei sass er auf einem ebenso hölzernen Armlehnstuhl, ausgestattet mit einem dünnen Sitzkissen, passend zur Arbeitsfläche, gleichermassen in grün. Am rechten Rand des Tisches stand die schwarze Schreibmaschine meiner Grossmutter. Mein Grossvater schrieb jedoch lieber von Hand und so war meist nur das kontinuierliche Kratzen der Füllfeder auf Papier zu vernehmen, bis dieses früher oder später durch das Klingeln des grauen Telefons unterbrochen wurde.
Auf der linken Seite des Zimmers standen Teleskopregale, gefüllt mit lehrreichen Büchern der Botanik, der Physik und rätoromanischen Geschichte. Nur ganz unten, direkt neben der Tür, fanden sich Bücher von Ernst Kreidolf, welche mich in meinen Kinderjahren immer wieder aufs Neue zu begeistern vermochten.
Gerne denke ich an die damalige Zeit zurück, sei es an den Geruch älterer Bücher aus dem Bibliotheksarchiv, das Geräusch der klickenden Wähldrehscheibe des Telefonapparates, den Anblick meiner vom Tintenband der Schreibmaschine verschmierten Hände oder das fürsorgliche Lächeln meines Grossvaters, wenn ich mit der Bitte auf seinen Schoss kletterte, er möge mir doch wieder einmal eine seiner fantasievollen Geschichten erzählen.